Mein Rennbericht, schonungslos und ehrlich:
Race around Austria 2019, eine intime Reise unter Freunden, die alle nicht wussten worauf sie sich eingelassen hatten…
„wer stinkt eigentlich mehr? Kühe oder ich ??…“
Irgendwann im Oktober 2018, vor ziemlich genau 10 Monaten:
„Danke dass du dabei bist !! Geil Junge!!!!“
Das Team für das Race around Austria steht! Die Reise, welche uns tiefer an unsere bisherigen Grenzen bringen wird als wir zu dem Zeitpunkt ahnten hat begonnen. Aber sie wird uns ebenfalls zusammen bringen, zusammen schweißen, zusammen weinen und zusammen feiern lassen!
Ich bin froh dass wir damals noch nicht genau wussten was auf uns zukommt…
Etliche Teamtreffen und Analyse bzw. Verbesserungspläne wurden aufgestellt und zusammen angegangen. Schonungslose Selbstanalyse ist eines meiner großen stärken. Ich bin mir selber gegenüber zu 100% ehrlich. Nichts wird schön geredet, nichts verdreht, nichts vertuscht, kein Blatt vor den Mund genommen. Egal wie schmerzhaft es auch im ersten Moment ist, aber nur so kann man sich in diesem für mich mehr als faszinierenden Sport Ultracycling bestehen, verbessern und Erfolg haben.
Die einzelnen Crews habe ich auch nicht wahllos zusammengestellt. Jeder einzelne hat seine ganz wichtigen Stärken und, so wie jeder von uns, auch schwächen. Jede Stärke jedes einzelnen wurde sorgfältig analysiert und wie ein perfektes Puzzle so zusammengestellt dass ein funktionierendes Team entsteht, welches sämtlichen extremen Bedingungen die Stirn bieten kann.
Auch hier ist eine schonungslose Selbstanalyse unabdingbar. Eine Teamsitzung z.b. war nur darauf ausgelegt die Stärken und auch Schwächen, Macken Eigenarten jedes einzelnen zusammen in der Gruppe zu durchleuchten. Nicht einfach das Ganze, aber um es in Tanja´s (Tanja Ney, unsere Mentaltrainerin, welche mich und das Team auf das RAA vorbereitet hat) Worte zu fassen: Sooo Wichtig!
Schwächen und Macken eines jeden zu kennen und vor allem zu akzeptieren ist enorm wichtig, und eines meiner großen Learnings aus der Vorbereitung mit Tanja!
Keiner soll und muss sich verstellen, nur sein bestes geben, wissen dass dies jeder in jeder Situation tut, egal was passiert oder passiert ist, und einfach akzeptieren lernen.
Kurz um: man muss den anderen lieben lernen mit all seinen Stärken und Macken! Sooooo Wichtig !!!
August, 13.08.19 ca. 8:00Uhr, ca. 1:30Std. bis zum Start nach dem Frühstück alleine im Hotelzimmer :
„Alter ich hab schiss! Dermaßen schiss …“
Wochenlang habe ich es erfolgreich hinbekommen die Gedanken rechtzeitig zu stoppen bevor sie sich der Teufelskreisfrage hingeben, „wie soll ich das hinbekommen 4 Tage nahezu Non-Stop Radzufahren ??????“ (wieviel Schmerzen und Leid mir ein kleiner aber entscheidender Teil bzw. Fehler dieser Aussage noch verabreichen wird konnte ich da noch nicht ahnen. Mehr dazu später …)
Nun liege ich im Bett des Hotelzimmers und habe keine Kraft mehr den Gedanken aufzuhalten. Es ist als wenn ein Damm gebrochen wäre in meinem Kopf, und das Wasser bzw. die Gedanken plötzlich jeden Winkel meines Gehirns durchspülen.
Ja, es war ein scheiss Gefühl. Ich hatte Angst, Selbstzweifel und ertappte mich dabei nach Gründen zu suchen doch nicht starten zu „müssen“.
Und genau da war es wieder! Das Wort „MÜSSEN“. Garnichts muss ich! Ich kann, darf und habs mir selber ausgesucht. Und nun ist es soweit!
Monatelang habe ich mich täglich daran erinnert, ermahnt was dieses Event für mich und mein Leben bedeutet.
Die Frage, wie wird sich ein erfolgreiches Beenden des Race around Austria positiv auf dein ganzes Leben auswirken, war schon laaaange beantwortet, geklärt und wortwörtlich in mein Gehirn tätowiert.
Die WARUM Frage darf sich im Rennen nicht mehr stellen, dann ist es zu spät und ein Scheitern definitiv NICHT zu verhindern. Selbst vom besten Team der Welt nicht.
9:38 Uhr Startrampe in Sankt Georgen:
Keine Ahnung was der Typ mir die letzten 2 Minuten erzählt hat, oder gefragt hat. Ich konnte los, und nur das war mir wichtig. Endlich los und in die bekannte, sichere umgebung. Einfach eine art nach Hause kommen nach langem Heimweh. Ich konnte aufs Rad und einfach Radfahren! Genau so wie ich es im fast täglichen Training gewohnt bin.
Es lief auch erstaunlich gut. Ich fühlte mich die ersten Stunden richtig gut und stark. Ich musste regelmäßig auf den Wattmesser schauen und mich bremsen. Einmal hab ich an der Ampel sogar den Powermeter genullt, um sicher zu gehen dass die Zahlen stimmen. Mir kamen die irgendwie zu hoch vor. Aber alles stimmte. Ich ermahnte mich im Flachen um die 220-240 Watt und an den Bergen um die 260-280 Watt zu treten. Es lief super.
Nachts dann Regeneinbruch, welcher mir aber absolut nichts ausmachte. Anhalten, Regensachen an, und weiter. Auf solche Sachen stellt man sich ein. Kein Problem für mich, was mich selber ein wenig wunderte. Mir war es komplett egal was für ein Wetter war. (zur Info: Im Training hasse ich Regen !)
Die ersten 24 Stunden vergingen wie im Flug. Auch danke der genialen Crew1, bestehend aus meinem Vater Rolf, Helmut, Martin und Mediamann Torsten (aka Der Mann der nicht weiss wieviel Schlaf man normal braucht )
Ernährung bestand aus 80% Fresubine ( 2:1 mit Wasser und 1 Teelöffel MCT Öl aufbereitet ), und 20% feste Nahrung wie z.b. Porridge oder Laugengebäck.
Nach ca. 30 Std. war Schichtwechsel und mich begrüßte eine grölende und sichtbar hoch motivierte Crew 2. Geiles Gefühl die so zu sehen!
Auch wenn ich Crew 1 liebte, so war ich froh endlich die neue Crew 2 on board zu haben!
Jede Crew ist ein wenig anders, setzt andere, neue Reize und triggert andere Gedanken und Gefühle bei mir. Keine Crew besser oder schlechter, einfach nur perfekt verschieden!
Crew 2 bestand aus Teamchef Andi, gute Seele Chris , Coffeinjunky und Fröhlichkeitsanstecker number one Ingo sowie dem Mann der langsam ahnte wieviel schlaf man evtl. doch braucht, Torsten die one man Filmcrew.
In der 2. Nacht bemerkte ich die ersten, nennen wir es einmal Verschleißerscheinungen. Alles Sachen welche dazugehören und auf welche man sich mental vorbereitet.
Knie taten beide sau weh (unter der Kniescheibe) , Hintern war wund und brannte und die Hände bzw. Finger wurden langsam taub. Ganz normale „Freunde“ während eines ultracycling Rennens, deren Dasein man akzeptieren lernen muss. Meistens kann man eh nichts dran ändern, egal was und wie man taped, cremt, tut und macht. Hilft meistens nur kurz, bevor es noch schlimmer wieder zurückkehrt. Trotzdem tapten wir die Knie und schmierten regelmäßig den Hintern ein.
Das erste mal bekam ich es nun auch mit der Müdigkeit in dieser Nacht zu tun. Es ist schon erschreckend wie plötzlich dies eintritt. Ca. 2 Stunden bekam ich es hin Sekundenschlafe und runterfallenden Kopf zu bekämpfen. Aber irgendwann war Schluss, und ich bekam Kopf und Augen nicht mehr hoch bzw. aufgehalten.
Keine Ahnung ob die crew es mitbekommen hatte, oder ich es sagte, aber ich kann mich nur noch daran erinnern das ich plötzlich im Schlafsack auf einer Liege lag. Keine Ahnung wo, war mir auch so ziemlich Latte!
1:30 später wurde ich geweckt. Aaaaaalter! Ich dachte bis dahin schon der Wecker morgens vor der Arbeit wäre schlimm, aber Andy hat diesen übertroffen. Er weckte mich mit irgendeinem „der Berg ruft! Weiter Jagen…“ Gemurmel. Er fand es lustig, ich wenn ich ehrlich bin extrem scheisse! Sorry Andi, aber war leider so !
Erstaunt war ich selber wie gut ich mich nur wenige Minuten später auf dem Rad gefühlt hab. Ich konnte nicht glauben wie , den Umständen entsprechend, leicht es mir wieder fiel Rad zu fahren.
Geil!!! Das gab einen enormen Motivationsschub und ein gutes Schäufelchen Selbstvertrauen intus.
Ich erkundigte mich noch zwei mal ober es wirklich nur 90min waren. Ich konnte mir nicht erklären wie man sich innerhalb von 90min so erholen konnte.
Weiter ging es durch die 2. Nacht dem Sonnenaufgang entgegen.
Dieser Sonnenaufgang war der Hammer! Geile Aussichten , und das ganze mit einem Käsebrötchen und Kaffee auf dem Rad zusammen mit der Crew genießen. Hammer! Die Welt war ( noch ) in Ordnung und ich hatte das Gefühl so wochenlang weiterfahren zu können.
Hätte ich gewusst was noch auf mich zukommt, hätte ich die Situation noch intensiver genossen…
Nach ca. 50 Std. kam dann wieder Crew 1.
Hello Again crew 1 !!! Und endlich tschüssikowski crew 2
Ab dem Tag 3 fehlen mir einige Abschnitte. Auch bekomme ich die zeitlichen Reihenfolgen nicht mehr richtig hin. Daher muss ich mich jetzt schon mal entschuldigen wenn jetzt ein paar Sachen durcheinander sind. Ebenfalls entschuldige ich mich für die Tippfehler. Leider spüre ich die linke Hand noch nicht zum aktuellen Zeitpunkt und ein paar rechte Finger sind noch taub. Das Ergebnis ist ein kontinuierliches vertippen, was mir mittlerweile so dermaßen auf den Sa** geht, dass ich es jetzt einfach mit Fehlern so lasse. (Evtl. korrigiere ich es später)
Wir sind am Gross Glockner. Wir müssen auf 2504m hoch. Ich bin sowas noch nie gefahren. Es war Irre! Eine Aussicht und ein Panorama welches ich bis dato nur von Bildern und Filmen kannte. Und es war nicht zu vergleichen mit dem Live Eindruck! Hier nun beginnt das Renne sagten mir vorher alle. Und wie sehr sie recht haben werden werde ich in wenigen Minuten das erste Mal hautnah erleben.
Generell war ich erstaunt wie gut ich die Berge hoch kam. Es machte mir sogar spass. Und ich bin nicht der geborene Bergfahrer. Aber zu realisieren das Personen wie Nicole Reist, Nico Mausch oder z.b. der spätere zweit platzierte Italiener Luca, alles Bergfahrer bzw. Fahrerinnen wie es im Buche steht nicht schneller, sondern teilweise sogar langsamer die Pässe hoch fuhren überrascht mich immer noch.
Die Trainings, Ernährungs und Material Umstellungen wirken sich evtl. doch langsam aus.
Wie gesagt, es lief gut. Das größte Problem waren die Knie. Die waren wirklich grenzwertig mittlerweile was die Schmerzen betrifft.
Ich habe schon immer Probleme mit den Knien. Auch nach 24h Rennen schmerzen diese immer unter den Kniescheiben.
Habe dies auch schon untersuchen lassen. Evtl. ist es eine zu geringe Knorpelschicht unter der Kniescheibe, welche eine Reibung verursacht welche eine Reizung bzw. Entzündung mit der Zeit zur Folge hat. . Wenn dann durch die Belastung die Oberschenkelmuskulatur verkürzt, zieht und damit drückt die Sehne oder Muskel die Kniescheibe noch mehr runter , was die o.g. Sache noch schlimmer macht. Man kann also etwas entgegenwirken indem der Oberschenkel regelmäßig gedehnt wird.
Das hab ich auf auf dem Rad regelmäßig gemacht. Besserung entstand dadurch aber irgendwie nicht.
Dann stellte ich fest dass wenn ich die Kniescheibe mit der Hand nach hinten schob , Richtung Oberschenkel, die Schmerzen weniger werden.
Alles klar! Ich hielt also an, erklärte es der Crew alles ganz genau und hatte die Idee dass sie mir mit Tapes die Kniescheibe nach hinten drücken sollten.
Chris kapierte sofort was ich meinte, und er hat mir das Tape genauso geklebt wie ich es mir vorstellte. Und tatsächlich!!!! Es half !!! Die Schmerzen sind definitiv einiges weniger !!!
Ich kam mir vor wie Tom Hanks beim Feuer machen !! Irre! ( Das das Feuer schon bald wieder aus sein wird ahnte ich noch nicht …)
Ich fuhr durch den Tunnel oben am Groß Glockner. Zumindest fast oben. Nach dem Tunnel geht es nochmal kurz runter und dann nochmal für ca 1km oder so hoch bin zur endgültigen Passhöhe.
Die kurze Abfahrt nutzte ich um meinen linken Oberschenkel ausgiebig zu dehnen.
Als ich unten ankam und wieder in das Pedal klicken wollte verspürte ich einen irrsinnigen schmerz links neben dem linken Knie. Es war so heftig das mir die Tränen in die Augen kamen und ich vor Schreck geschrien habe. Es war als wenn jemand ein Messer seitlich in mein Knie stach.
Ich hielt an und versuchte den Schmerz irgendwie weg zu bekommen. Aber was ich auch tat, sobald ich das Knie auch nur einen hauch seitlich knickte war der Schmerz wieder da.
Ich wusste nicht was ich machen sollte, und dachte ich hätte mir irgendwas eingeklemmt, oder Miniskus gerissen oder was weiss ich was mal an so nem scheiss Knie alles haben kann….
Ich bekam Panik. Innerlich spürte ich dass dies das Aus für das Rennen sein könnte. Ich wartete immer noch auf das Team. Aber es kam keiner. Bestimmt 5 min stand ich am Rand und traute mich nicht mich zu bewegen.
Ich hätte heulen können in dem Moment! Wo waren die bloss!!?? Später erfuhr ich dass sie vorgefahren sind bis zur Passhöhe um dort alles für die Abfahrt vorzubereiten. Auch wenn sie mir dies gesagt hatten, so bekommt man dies leider nicht mehr mit.
Irgendwann dachte ich mir: Zur Not fährst du das Rennen mit einem Bein weiter! Auch wenn du 2 Wochen brauchst, egal. Ich bin dann wieder aufs Rad und einbeinig bis zur Passhöhe.
Oben der Crew alles erzählt. Die haben dann meinen Physio Christian Kesternich angerufen und genau erklärt was und wo die Schmerzen sind.
Analyse war dass meine Partella Sehne ( oder wie auch immer des ding heisst) entzünded wäre.
Was kann man dagegen tun fragte ich?!
Antwort : Option 1: Ruhig halten und keine seitlichen Bewegungen mehr, dann beruhigt sich die Sehne irgendwann. Option 2: Ein Tape einmal komplett untenrum unter dem Knie.
Ich bat ebenfalls um eine ( 2 x 400er) Ibu Tablette, da diese eine entzündungshemmende Wirkung haben.
Dann ging es mit einem flauen Gefühl in die Abfahrt Richtug Gerlospass.
Ich versuchte ab da so flüssig als möglich zu treten. Ja keine seitlichen Bewegungen mit dem linken Knie. Also auch nicht mehr alleine aus dem Pedal klicken, Trinkflaschen nur noch mit rechts rein bzw. rausziehen. Normalerweise mache ich dies alles mit Links. Aber irgendwie klappte es.
Jedesmal wenn ich es dann vergaß und z.b. in einer Kurve das Bein seitlich bewegte schoss ein irsinniger Schmerz durch mein Knie. Mir kamen dann jedes Mal die Tränen in die Augen.
Aber irgendwie packte ich es so weiter zu fahren. Solange ich sauber trat, war es einigermaßen erträglich. Sicherheitshalber entfernten wir aber das Tape vom Knie welches Meine Kniescheiben hochdrückten. Da ich nicht sicher war ob dies evtl. das Problem verursacht hatte.
Das Ergebnis waren nach kurzer zeit wieder die altbekannten Knieschmerzen unter den Kniescheiben. Mittlerweile waren die Knie auch richtig dick angeschwollen und heiß. Ein Zeichen für eine Entzündung.
Ich bat erneut am Gerlospass um 1 oder 2 Ibus. Ich wollte eine Entzündungshemmende Wirkung und damit eine Verschlimmerung entgegenwirken.
Teamchef Andi lief gerade neben mir an einem steilen stück als ich nach den Tabletten bat.
Seine Antwort: „ Torsten du bekommst von mir keine Tablette mehr! Das packst du ohne!“
Das war für mich in dem Moment wie ein Schlag mitten in die Fresse. Seit Stunden hielt ich es vor Schmerzen kaum aus, die Chance war gross dass es bei den ganzen Bergen die vor uns lagen noch schlimmer werden wird, selbst mit aktuellen Schmerzen war ich mir eigentlich ziemlich sicher es so nicht noch weitere 2 Tage packen zu können. Meine einzige Hoffnung, der einzige Strohhalm um „zu überleben“ lag auf diesen Scheiss Tabletten in diesem Moment. Und der Typ neben mir, der einer meiner besten Kumpels ist und dem ich zu 100% vertraue sagt mir gerade ich bekomme keine Tablette mehr!!!
Ich hielt an und stieg vom rad ab. Stellte mich vor ihn und brüllte ihn an dass „ich eine Tablette möchte, und wenn ich eine Tablette möchte dann bekomme ich eine!!!“
Er brüllte zurück „Nein Torsten! Du hast schon 2 Tabletten. Und ich hab die Verantwortung für dich. Du kannst machen was du möchtest, aber du bekommst keine Tablette mehr von uns!! Die kripierst uns sonst noch bei der Belastung mit den Schmerzmitteln im Körper!!!!“
Ich Weiß nicht mehr genau wieso weshalb warum, aber ich nahm mein Rad und warf es den Abhang runter. (Gott sei dank ging es nicht tief runter …)
Außer Andi machten sich alle anderen der Crew davon. Alle verschwanden im Bus. Andi und ich guckten uns an und keiner sagte ein Wort. Ich zwang mich selber dazu mich in seine Lage zu versetzen. Und es gelang tatsächlich.
Ohne was zu sagen nahm ich mein Rad, bat Andi kurz zu schauen ob alles ok war, stieg aufs Rad und fuhr weiter. Meter für Meter mit den intensivsten Gedanken welche ich bis dahin jemals hatte.
Andi lief immer noch neben mir. Ich kam mir vor wie ein Drogenabhängiger, welcher alles für seinen nächsten Schuss tun wollte und für den nichts anderes zählte.
Oben auf der Passhöhe hielt ich an, bat alle zusammen zu kommen und entschuldigte mich für meinen Ausraster. Alle versicherten mir dass dies ab jetzt komplett vergessen ist und einfach dazu gehört. Wir umarmten uns und es ging in die Abfahrt. Ein geniales Gefühl! Richtung Kühtai.
Auf der Abfahrt übermannte mich die Müdigkeit, und zum ersten mal hatte ich Halluzinationen. Ich sah plötzlich Dinge vor mir auf der Straße welche eigentlich nicht sein konnten. Ich war trotzdem Gedanklich noch recht gut dabei, so dass ich mir selber noch weismachen konnte dass z.b. Pinguine am Straßenrand nur eine Einbildung sein konnte.
Dass Hauptproblem war eher dass ich das Vertrauen zu mir selber verlor. Ich fuhr mit teilweise 70-80 Kmh die Abfahrten runter und sah vor mir eine endlose gerade Straße.
Was wenn die gerade Straße nur eine Einbildung ist???!!! Was wenn dort in Wirklichkeit eine Serpentinenkurve ist hinter der es hunderte Meter den Abhang runter geht???!!!
Ein extremes und unheimliches Gefühl zu merken die Kontrolle über sich selber zu verlieren. So etwas kannte ich bis dahin noch nicht!
Hier hat mir auch der Tipp von Nicole Reist geholfen nicht in Panik zu verfallen! Ich bin einen Pass mit ihr zusammen hoch gefahren und wir haben uns auf Anhieb super verstanden und sie hat mir einige Tipps zu meinen Fragen gegeben. Vielen vielen Dank Nicole!! Und bleib so wie du bist. Ich hoffe dir evtl. irgendwann aiuch einmal weiterhelfen zu können….. Nicole ist eine unbeschreibbare starke Persönlichkeit, welche nicht ohne Grund die weltweit erfolgreichste ultracycling Sportlerin ist.
„Lerne es zu akzeptieren! Ganz einfach. Akzeptiere das was du nicht ändern kannst und mach das Beste draus. Müdigkeit, Abbruchgedanken, Schmerzen, Weinkrämpfe… akzeptiere es. Willkommen in unserem Sport Torsten ! Das ist es was ultracyclisten ausmacht…“
So ähnlich waren ihre Worte, welche mir ewig in Erinnerung bleiben werden.
Ich akzeptierte es nun also. Ich überlegte mir was ich bzgl. Sicherheit denn tun könnte. Ab da fuhr ichlangsamer und glich alle paar 100m meine Sicht mit dem Track des Navigationsbildschirmes ab.
Zeigt beides das selbe, alles gut. Ist es unterschiedlich, dann stimmt was nicht. Langsamer fahren und zur Not anhalten.
So kam ich auch die Abfahrt runter. Die Crew hatte mich mittlerweile eingeholt und es standen nur noch wenige Kilometer bis zum Crewwechsel an.
Ich verspürte eine irre Müdigkeit, die ich aber irgendwie mit Koffein und Gesprächen im Zaun halten konnte. Plötzlich sah ich wie die Straßen Beläge sich links und rechts hochklappten.
Zu erst erschrak ich, aber dann akzeptierte ich es. Es war eben einfach „part of the game „ wie Tanja immer sagte. Ich genoss schon fast die irren Tricks die das Gehirn mit mir machte .
Brenzlig wurde es als ich plötzlich immer langsamer wurde. Ich konnte nichts dagegen tun. Der tritt wurde immer langsamer. Dann ertappte ich mich bei dem Gedanken mich doch einfach rechts gegen die hochgeklappte Asphaltdecke zu lehnen. Umkippen kann ich ja dann nicht dachte ich mir.
Evtl. habt ihr schon mal eine Vollnarkose gehabt. Das Gefühl ist so ähnlich. Du sollst bis 10 Zählen, packst es aber nicht. Und plötzlich wirst du wach….
Ich kann mich danach nur noch daran erinnern dass ich plötzlich wach wurde und nackt im Schlafsack lag. Ich stand auf und keiner war da.
Doch, plötzlich war Chris und Andi da! Geil!!! Ich wollte einfach nur weiter.Bald ist Crewwechsel.
Noch einen Kaffee und wieder aufs Rad. 60min hatte ich wohl in einer Seitenstraße geschlafen. Wie ich es immer geschafft habe selber aufzuwachen ist mir immer noch ein Rätsel. Aufwachen ist nämlich normal nicht unbedingt meine Stärke!
Vor dem Kühtai war auch ein erneuter Crew Wechsel auf Crew 1.
Ich hatte viel vom Kühtai gelesen und gehört. Es soll der Schwerste Pass sein. 27km lang, am Ende immer steiler , mit Rampen von bis zu 26% teilweise mehrere hundert Meter lang.
Es war Ende der Nacht, 4 Grad Celsius und es hatte, wie jede Nacht bis dato, in Strömen durchgeregnet als es in den Anstieg ging.
Ich fühlte mich körperlich und mental ganz gut und fit! Und ich freute mich auf den Sonnenaufgang der während des Passes bald kommen wird.
Es sind während den ersten Kilometern viele Tunnel durch die man fahren muss. Und ich hörte plötzlich ein lautes graulen. Es wurde immer lauter. Ich schob meine Kopfhörer zur Seite um besser ausmachen zu können was es ist und woher es kommt. Das Getöse wurde immer lauter und die Straße fing an zu vibrieren. Ist das eine Lawine?? Fuhren wir genau darauf zu ??Es war stock dunkel und ich konnte nicht mehr als einen Lichtkegel 10 Meter vor mir sehen.
Ich bekam plötzlich höllische angst. Ich fragte die Crew was das wäre?! Sie fragten mich was ich meine . Das Getööösee!!! Was ist das ???? Da kommt irgendwas !!!!
Helmut sagte mir dann dass dies Wasser ist welches von dem Regen in einem Fluss vom Berg runter donnert. Der reißende Fluss sei direkt neben uns rechts.
Alter, war das ein Geräusch und eine Kraft dahinter. Man kommt sich so schwach und mickrig vor wenn man das hört.
Auch wenn ich wusste was es war, ich traute mich ab da nicht mehr auf die Rechte Strassenseite. Ich bat um laute Musik und fuhr mittig auf der Strasse.
Der Sonnenaufgang war der Hammer!! Irre was die Aussicht und die Wärme für Emotionen auslöst! Ich war so dankbar das erleben zu dürfen!
Mittlerweile hatte ich Nicole Reist überholt und wir waren im letzten viertel des Anstiegs. Der Teil mit den extrem fiesen steilen Rampen. Sowas perverses kannte ich auch noch nicht. Dass ging immer weiter. Stundenlang fuhr ich kurz vorm umkippen. Als plötzlich das Vorderrad abhebte fuhr ich fast nur noch im Wiegetritt und Slalom die Straße hoch. Anders ging es nicht.
Die ganze Zeit ging jemand von der crew neben mir her. Wer es war, keine Ahnung. Ich weiß auch nicht was erzählt wurde.
Es sollte der nun bis dato tiefste Punkt in meiner ultracycling „Laufbahn“ folgen. Ich hatte mir im Vorhinein vieles ausgemalt. Habe auch in der Vergangenheit schon einige Tiefpunkte durchlebt und erfolgreich gemeistert. Aber nun war es schlimmer als jemals bevor.
Mich hatte schon seit gut 1 Stunde die Kraft verlassen. Mir war schwindelig und wurde regelmäßig schwarz vor Augen. Müde war ich nicht. Ich spürte das die Motivation weg ging. Ich hatte keine Lust mehr. Ich wollte nicht mehr. Ich hatte das Vertrauen in meinen Körper und meinen Willen verloren.
Warum tue ich so etwas ?? Warum ziehe ich sogar andere Leute mit hinein. Warum verbringe ich nicht meine Zeit mit meiner Familie? Warum sorge ich dafür dass die Crew ihren Urlaub für solch einen Scheiß verschwendet?
„Ja ja, fang ruhig wieder an dir deine wie in einer Sekte eingeprägte „was bringt es mir positives im Leben wenn ich es beende…“ Scheiße einzureden! Ich kack auf mein angebliches positives Leben!“
„investiere deine Zeit doch besser um wirklich etwas im Leben zu bewegen, um Leuten zu helfen, und das Geld für einen guten Zweck zu spenden!…“
Ich hielt an und brach über dem Lenker in Tränen aus. Alle kamen angelaufen und ich sagte Ihnen dass ich es nicht packe. Das ich am Ende bin und nicht die Kraft habe weiter zu fahren.
Alle redeten irgendwie auf mich ein. Es war irgendwie wie ein Gewitter welches ich weg haben wollte. Ich habe eh nicht gehört wer was gesagt hatte. Ich wollte nur das alle weg sind. Ich konnte und wollte ihre Stimmen nicht mehr hören! Ich hasste die Stimmen regelrecht! Die Stimmen waren die Leute die mich hier regelrecht folterten. Mich weiter zwangen.
Ich kann mich an die Situation ab da nicht mehr ganz genau erinnern. Helmut sagte mir im Nachhinein das er alle Teammitglieder weggejagt hatte. Laut ihm war dies bei einigen gar nicht so einfach. Aber er hat es geschafft. Ich kann mich noch daran erinnern das ich Helmut in den Armen lag. Ich dachte wir hätten lange geredet. Aber er sagte mir ich hätte nur geheult und er hätte keinen Ton zu mir gesagt. Irgendwann bin ich wohl wieder aufs Rad und habe angefangen mit mir zu schimpfen, brüllen und Diskutieren und selbst anspornen als wenn Teufel und Engel auf meinen Schultern saßen. Ich kann mich daran nicht mehr erinnern. Einerseits gut, einerseits schade.
Ich hab keine Ahnung was Helmut gemacht hat, und wie er es gemacht hat, aber ich bin tief im inneren überzeugt ich wäre das Rennen nicht zu Ende gefahren wenn Helmut nicht in diesem Moment da gewesen wäre und genau das gemacht hätte was er gemacht hat!
Es ging also weiter!!!! Wir haben es geschafft! Der Tiefpunkt war heftig, aber wir haben ihm, in den Arsch getreten! Und darauf bin ich so richtig stolz!
Ich habe noch einige Stunden über die o.g. Gedanken bzw. Sichtweisen nachgedacht. Bzgl. Gutes tun in der Welt und Leute helfen usw.
Ich bin kein Gutmensch. Und ja, es gibt wichtigeres im Leben als ein Ultracycling Rennen. Und ja, es gibt bessere Menschen auf der Welt als mich.
Aber es gibt auch MICH! Und es gibt UNS! Und jeder hat nur 1 Leben! Man kann es drehen und wenden wie mal will, das Leben ist irgendwann vorbei. Und es ist ein dermaßen geiles Gefühl über sich hinaus zu wachsen, Ziele zu erreichen welche erst unmöglich erscheinen, das Ganze in einem unvergleichbaren Miteinander Gefühl zu erleben. Und den ein oder anderen evtl. auch einen kleinen push zu geben seine Ziele anzugehen und ähnliche Gefühle zu erleben.
Ja, ich liebe diesen ultracycling Sport!!! Er ist erschreckend, emotional, brutal und faszinierung wie kaum ein anderer Sport. Und genau das ist es was es zu einer Art Liebe werden lässt glaube ich.
Probiert es einfach aus! Und ihr werdet mich verstehen…
Es waren bis zum Ziel noch einige bittere Tiefphasen, aber auch unendlich geile Hochphasen dabei. Alle hier aufzulisten würde echt den Rahmen sprengen.
Um euch aber nochmal deutlich zu machen wie wichtig das Team ist, wie sensibel diese sein müssen und welchen auch psychischen Hürden von der Crew zu meistern waren:
Helmut sagte mir im Nachhinein er hätte so ca. 50km vor dem Ziel kurz erwähnt sie würden mir für die Zieleinfahrt noch schnell ein sauberes Trikot anziehen damit ich gut rieche.
Ich hatte dies, zumindest bewusst gar nicht mitbekommen. Aber plötzlich hab ich mich vor mir selber geeckelt. Ich wollte duschen. Das Team sagte hier ist aber keine Dusche jetzt und es sind ja nur noch 50km.
Ich hab dann angehalten mich auf der Straße nackt ausgezogen und wollte duschen! Martin hat genial reagiert. Es wurde Wasser im Wasserkocher warm gemacht und er hat mich mitten auf der Straße abgeduscht und sauber gewaschen. Sogar Deo gab es ! Neue Klamotten an und weiter ging es.
Die letzten gut 40km waren noch einmal richtig hart. Regelmäßig hörten meine Beine auf zu treten und es ging nicht mehr weiter. Es ging irgendwie nicht mehr.
Auch hier vielen Dank an Pierre Bischoff für die Tipps.
Irgendwie habe ich es dann doch dank eurer Aller Hilfe bis zum Ortseingang Sankt Georgen geschafft!
Wahnsinn ich konnte es kaum glauben dass wir es wirklich geschafft haben. Wieder kamen mir die Tränen…
Die abschließende Eskorte durch das Festzelt des Marktfestes war die absolute Krönung!!!
Ich bekomme immer noch Gänsehaut! Wahnsinn! Alleine dafür hatte es sich gelohnt Und ja, wir hatten es uns verdient!!! Aber sowas von !!
4 Tage, 14 Stunden und 14 Sekunden, unbeschreibliche nie vorher geahnte Emotionen liegen hinter uns. Ich bin so unglaublich dankbar an meine Crew und allen Unterstützern da draußen dass ich so etwas intensives erleben dürfte!
Um ehrlich zu sein war die Zeit nach dem Zieleinlauf, und sogar die ersten Tage danach, alles andere als mit Glücksgefühlen, stolz oder Freude übersät. Eigentlich so gut wie nichts von all dem. Einfach nur froh das es vorbei war!
Jetzt kommen aber die ganzen Gefühle, der Stolz und die Gewissheit das Richtige gemacht zu haben. Man merkt das man regelrecht an dem erlebten wächst.
Und wachsen müssen wir auch, denn für unser großes Ziel dem 5000km langen Race across America ist man besser ausgewachsen !
Vielen dank euch allen und ich hoffe ihr habt das Rennen auch so intensiv miterleben können. Das war zumindest einer unserer Ziele für das RAA.
Film Race around Austria:
Teil 1/2:
Teil 2/2:
Euer Torsten