Rennbericht Race around Austria 2021
Es sind noch 98 km bis ins Ziel. 98 von 2200km sind „NUR“ noch über.
Eigentlich sollte man motiviert und fröhlich sein dass man es „fast“ geschafft hat. 10 Monate Vorbereitung, etliche Stunden auf dem Rad und in Gedanken zur Vorbereitung und Zielsetzung, und nun ist es fasst geschafft. Endspurt, wie man so schön sagt.
Die bis dato härtesten und schmerzhaftesten ca. 2100km meines Lebens liegen erfolgreich hinter mir. Es war alles andere als einfach, es sind tränen geflossen, Schimpfwörter wurden gebrüllt, es wurde gelacht, gesungen, gejodelt und sich in den Armen gehalten. Es wurden mehrere große Hürden gemeisterst zusammen in den letzten 4 Tagen. Und nun sind es nur noch 98km. Eine kline Trainingsrunde.
Und dennoch überlege ich mir seit ein paar Minuten wie ich meiner Crew nun mitteile das ich aufhören möchte. Nein, nicht nur möchte, ich werde aufhören!
Ich halte auf einem LKW Parkplatz an, schaue meine Crew an. Aktuell befindet sich Pierre, Chris und Michel im Begleitfahrzeug. Die andere Crew & mein Vater warten schon in Sankt Georgen auf unsere Zieleinfahrt.
„Ich muss Euch etwas sagen! Und ich möchte ehrlich sein: Ich habe kein Bock mehr und möchte jetzt aufhören! Ich möchte einfach nur ins Hotel gebracht werden bitte.“
Mit allen möglichen Mitteln versucht die Crew mich zum weiterfahren zu bewegen. Allerdings ohne Erfolg.
Alle Zielsetzungen, alle Visualisierungen welche ich Monate lang durchgespielt habe, welche mich Monate lang motiviert haben am Ball zu bleiben, welche mich trotz elendigen Schmerzen 2100km bis hier hin gebracht haben, sind nun weg. Es bedeutet mir nichts mehr. Garnichts mehr!
Ankommen? Wofür? Bin ich schon mal! Sehe ich keinen sinn drin es nochmal zu schaffen. Hsbe ich schonmal geschafft und das reicht mir aktuell!
Ich spüre das ich keinerlei Emotionen mehr in mir habe. Weder positive noch negative. Ich komme mir vor wie ein Emotionsloser Roboter, der einfach kein bock mehr hat weiterzutreten. Dem der Programmcodeabschnitt „Zielsetzung & Motivation“ gelöscht wurde.
Ich glaube es hätte in dem Moment neben mir eine Bombe explodieren können, es hätte mich nicht mehr gejuckt als wenn mir meine Trinkflasche aus der Hand rutscht beim trinken.
Zurück zum Start in Sankt Georgen.
Es ist Dienstag 08:18 als für uns der Startschuss ertönt. Endlich geht es los. Crew 1 mit Chris Heck, Pierre Bischhoff und Michael Liebertz ist am Steuer des Begleitfahrzeug.
Ziemlich schnell spüre ich die Hitze schon. Ich merke das es mir nicht richtig gut geht. Ich kann noch nicht richtig erklären was und wo genau, aber es läuft einfach nicht rund.
Ich werde immer langsamer. Ebenfalls spüre ich das die Energie weniger wird. Als würde keine Nahrung und Flüssigkeit im Körper ankommen. Es wird immer schlimmer, bis ich irgendwann ein enormes Völlegefühl im Bauch habe. Ich habe Hunger & Durst, aber mein Bauch ist gefühlt bis zum Hals voll. Trotzdem halten wir erst mal an der Ernährungsstrategie Fresubine & Sponser Getränk fest. Dazu kommt noch etwas Laugengebäck.
So ging es dann den ganzen ersten Tag weiter. Bis ich mich plötzlich übergeben musste. Ich hielt an und kotzte mir buchstäblich die komplette Ernährung und Getränke der letzten 8 Stunden aus dem Bauch. Sowas hatte ich noch nie erlebt. Ich schätze es waren bestimmt 4 Liter welche ich übergeben hatte.
Danach ging es mir schlagartig besser. Innerhalb von 1 Minute waren Schwindel, Übelkeit, Schlappheit, Kopfschmerzen und schlechte Gedanken wie weggeblasen.
„Sehr gut! Jetzt fangen wir bei 0 neu an! Gut, dass es endlich raus ist“ Sagte Pierre über Funk.
„Wir werden ab jetzt deine Ernährung komplett abändern und dich neu aufpäppeln“.
Mir war alles egal! Hauptsache es geht weiter und ich kann wieder Energie aufnehmen.
Ich Weiß nicht was Pierre ab da alles einkaufte bzw. in Auftrag gab für mich einzukaufen. Es war Fleur der Sol, über Vitamintabletten, Aminosäuren bis zu KUSKUS & Gemüsebrühe dabei. Ich vertraute ihm und aß und trank ab da alles was er mir gab. Ich hinterfragte einfach nichts.
Ich fühlte mich zwar besser, aber ich hatte keine Energie. Wie bei einem Hungerast. Irgnedwann war ich so langsam das Pierre selbst im Flachen neben mir herlaufen konnte. Reden viel mir ebenfalls schwer. Es war mir zu anstrengend zu antworten bzw. zu reden.
Gerade so habe ich es dann noch auf eine Bank im Schatten geschafft und die Crew legte mich für 20min dort hin zum Schlafen. Ich bekam noch etwas zu essen und zu trinken und schlief dann ein.
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Das Aufwecken ging gut. Ich fühlte mich erstaunlich fit wieder. Kein Vergleich zu 20min vorher.
Ich fragte ob es wirklich nur 20min waren. Ja, waren es! Jetzt noch etwas Kuskus und einen Schluck Cola und weiter ging es.
Und es lief auch schon wieder besser. Ich konnte zumindest „normal“ Radfahren.
Es war nun das Ziel mich bis zum nächsten Tag wieder soweit aufzupäppeln, dass ich für die nächste Hitze und Anstiege vorbereitet bin. Und dies hat auch funktioniert. Am Ende der 1. Nacht fühlte ich mich wieder wie ein normaler Radfahrer. Geil!!! Erste Hürde gemeistert! Jetzt geht es los!!!!
Ich hatte allerdings enorm mit Krämpfen in beiden Oberschenkeln zu tun. Wahrscheinlich durch den Mineral- und Wasserverlust. So fuhr ich die ganze Zeit immer kurz vor Krämpfen. Ich habe es aber irgendwie geschafft mich damit zu arrangieren. Noch heute spüre ich die damals verkrampften Muskeln wie eine Art Zerrung.
Der 2. Tag brach an, und damit auch bald der 1. Crewwechsel auf Crew 2. Bestehend aus Martin Hitz, Andreas Schüttler und Thomas Hoetgen.
Mein Vater kümmerte sich um alles was die Crews betrifft und bereitete alle Klamotten und Flaschen für die nächste Schicht vor. (Waschen, Trocknen, einsortieren, Flaschen spülen und neu befüllen/anmischen, usw.)
Der Magen hielt ganz gut, und ich konnte eine vernüftige Pace fahren. Lediglich die Hitze machte mir und meinem Kreislauf enorm zu schaffen. Ich versuchte es einfach zu akzeptieren und mittels Kühlweste und genügend Wasserkühlung von aussen bis in den Abend zu kommen.
Zwischenzeitlich hatte ich mit Wassereinlagerungen zu kämpfen. Diese haben wir aber mit einer Wassertablette in Zaun halten können. Wahrscheinlich etwas zu viel Salz in der 2. Schicht.
So ging es auch so langsam in das Hochgebirge. Die Soboth und dann stand noch das elendig lange Leesachtal mit fast 41km an. Eine irre Hitze hier hoch. Auf meinem Garmin schwankte die Temperatur immer zwischen 34 und 37 Grad. Die Sonne zapfte mir regelrecht die Energie aus dem Körper.
Das größte Problem war aber mein Sitzproblem. Am Tag 2 hatte sich ein richtig schmerzhaftes Abszess, ca. Tischtennisball groß, am Hintern gebildet. Ich konnte fast nur noch im Wiegetritt fahren, welches allerdings zu Problemen und Schmerzen in den Handgelenken und Händen führte.
Es war zum Verzweifeln. Ich konnte mich einfach nicht mehr setzen ohne das mir vor Schmerzen regelrecht die Tränen kamen. Fuck, wie soll ich so noch 3 Tage fahren?????
Crew Wechsel war in Lienz kurz vorm Großglockner geplant. Bis dahin kam ich leider nicht, da mich kurz nach der Abfahrt vom Leesachtal enorme Müdigkeit zu einem 20min Powernap zwangen.
Diesen verkraftete ich aber gut, und es ging inkl. Crewwechsel Richtung Großglockner.
Pierre überraschte mich mit einem Calipo Wassereis, das beste Eis was ich je hatte!
Ebenfalls sagte er mir er hätte 2 Damensättel gekauft, würde diese jetzt montieren und je nachdem an der Stelle des Abzess der Sattel etwas ausschneiden. Sie würden jetzt vorfahren, alles montieren und ich solle dann mal testen.
Alles klar! Damensattel. Egal , mir scheiss egal was, ich würd jetzt alles testen…
Und tatsächlich, als ich auf das mit dem neuen Sattel montierte Rad stieg konnte ich es nicht fassen!
Ich konnte wieder sitzen!! Ja, es tat noch weh, aber kein Vergleich zu vorher, dieser Schmerz lässt sich irgendwie aushalten dachte ich mir! Das packe ich!!!
Ich hielt an und viel Pierre in die Arme. Wahnsinn dieser Typ!! Schon wieder hat er mir buchstäblich den Arsch gerettet. Gibt es eigentlich ein Probleme für was er keine Idee & Lösung hat?
So ging es nun weiter den Großglockner hoch. Auf den Berg habe ich mich gefreut. Dort ist letztes Jahr der Bus liegen geblieben. Ich hatte noch eine Rechnung offen. Und diesmal ging es im Hellen dort hoch.
Die Vorfreude war allerdings schnell vorbei. Es lief nur schleppend. Zwischenzeitlich dachte ich mir es müsse dort ein anderer Berg als die letzten Jahre sein. Der war doch sonst niemals so steil!!??
Ich konnte es nicht verstehen. Pierre ist den ganzen Berg neben mir hergelaufen. An dem Berg hat mich auch der spätere Sieger Rainer Steinberger eingeholt und überholt.
Ich kämpfte zusätzlich mit enormer Müdigkeit. Immer wieder vielen mir die Augen zu. Ich hatte Probleme auf der Straßen hälfte zu bleiben.
Mehrmals bettelte ich Pierre an doch einmal kurz schlafen zu dürfen. Aber er verneinte dies!
„Bitte Pierre, lass mich nur 5 Minuten die Augen zu machen, bitte! Ich kann nicht mehr“
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„Nein Torsten dafür it es jetzt leider zu spät! Wir sind auf >2000m Meereshöhe, wenn ich dich jetzt schlafen lege dann bekommen wir dich nie mehr fit. Hier ist kein Sauerstoff! Und dann bekommen wir dich auch nicht mehr die Abfahrt runter, der Stoffwechwel & Puls ist dann so niedrig das es die Abfahrt runter zu gefährlich ist!“
„Aber 5 Minuten schaden doch nichts!!
„Nein Torsten! Du fährst hier ohne zu schlafen hoch, und du fährst dann auch noch ohne zu schlafen runter! Wenn du unten bist darfst du schlafen! Bis dahin nicht! Kannst du machen was du möchtest, du trittst weiter!“
Ich habe ihn gehasst!! Wirklich. Dieses Arschloch! Was soll das!? Will er mir jetzt zeigen wie hart ein RAAM Gewinner ist?? Oder will er mich fürs Raam abhärten?? So ein Fuck hier!!! Warum mache ich bloß immer solch eine Kacke.
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Ich kann Euch nicht sagen wie ich es geschafft habe, aber ich bin den Großglockner hoch und auch die Abfahrt runter gefahren. Damit ich nicht einschlafe wurden mir vor jeder Kurve Fragen gestellt welche ich dann in der Kurve beantworten musste/sollte. Teilweise Rechenaufgaben, teilweise Fragen zu Radsportlern. Als das nicht mehr richtig half, wurde ich in Adrenalin versetzt, indem man mir sagte wie schnell ich gerade fuhr.
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„Jaa, lass laufen Torsten!! Wir sind hier bei einem Radrennen! Also lass laufen!!! Über 80 km/h jetzt, top! Laaange rechtskurve, und jetzt laufen lassen! … 92 km/h!!! Yessss!!!“
92km/h … Aaaalter…. Haben die ne Macke mich hier so schnell runter fahren zu lassen??!!
Aber Pierre hatte recht. Wenn der Kopf Angst und Adrenalin bekommt, wird er wieder wach. Und es hat funktioniert. Je langsamer ich den Berg runter gefahren wäre, desto gefährlicher wäre es gewesen.
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Irgendwann war ich unten, und so wie ich mich erinnre gab es dann zur Belohnung auch eine Schlafpause. Endlich.
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Danach ging es den Gerlosspass bei Nacht hoch, und dann Richtung dem Pass vor welchem ich den meisten Respekte hatte, den bis zu 22% steilen Kühtai auf >2000m Höhe.
Ein scheiss Berg, der immer weiter geradeaus geht und man das Gefühl hat nicht von der Stelle zu kommen. 23km lang. Und durch die frei laufenden Kühe stinkt es dort nach Kuhscheisse. Das wusste ich noch von 2019.
Es war ca 5:30 am Morgen.
„Wir fahren kurz in die Metzgerei was besorgen. Bleib du auf der Strasse Richtung Kühtai, wir kommen gleich nach- Essen und trinken haben wir die gerade gegeben. Alles gut, einfach locker weiterfahren.“
OK, kein Problem. Tut auch mal gut alleine zu sein. Kann man auch z.b. mal in Ruhe pinkeln gehen ohne das alle um einen rumspringen und rumtun. Creme hier, Sonnencreme da, Brille putzen dort, Kette schmieren hier, usw usw…
Geil…. Einfach nur alleine hier am Waldrand stehen, pinkeln und die Ruhe genießen…. Fast wie Urlaub.
Die ersten Kilometer vom Kühtai sind geschafft. Durch die ganzen Tunnel bzw. Galerien in welchem man das laute Getöse des Wildbaches direkt neben der Strasse hört. Wahnsinn diese Geräuche. Da wird einem richtig bewusst was man für ein kleiner mickriger Typ ist. Wahnsinn diese Stärke der Natur! Das ist mir am Großglockner schon aufgefallen. Ein Berg welcher einem Angst und Bange macht. Die Höhe, die Größe, der Wind, die Geräuche welche man nicht einordnen kann. Voller Ehrfurcht fährt man solche Naturgewallten hoch.
Mittlerweile waren ca 60min vorbei und ich überlegte mir das erste mal wo wohl die Crew bleibt. Hoffentlich ist nichts passiert. Aber 60min ist schon heftig. Obwohl, jenachdem wo sie waren, können 60min auch schnell rum sein.
Egal, fahr einfach weiter. Treten und regelmäßig trinken. Sie werden gleich schon kommen.
Irgendwann waren fast 2 Stunden vorbei und immer noch keine crew da. Für mich stand fest das etwas passiert sein muss. Evtl. ein Unfall und sie müssen auf die Polizei warten. Oder Auto defekt und sie müssen auf das Ersatzpacecar warten.
Für solche Fälle habe ich ein Handy in einer Werkzeugflasche im 2. Flaschenhalter. Es ist ein ganz altes Nokiahandy von meinem Vater. Dort sind nur 3 Nummer eingespeichert für den Notfall. Crew 1, Crew 2 und die Nummer von meinem Vater.
Ich wunderte mich das die crew nicht angerufen hatte wenn was passiert ist. Evtl. habe ich es aber auch nur nicht gehört.
Da ich aktuell gut im Flow und es ziemlich steil war, entschied ich mich einfach so lange weiter zu fahren bis die Trinkflasche leer ist. Bis dahin höre ich auf zu denken und trete einfach. Treten, trinken, treten…
Irgendwann kam der Moment. Die Flasche war leer.
Sofort hielt ich rechts im Schatten an, legte mein Rad auf dem Boden, nahm mir die Werkzeugflasche inkl. Handy und setzte mich an den Strassenrand.
Als ich das Handy auspackte wunderte ich mich dass das Display aus war. Hä??!! Ausgeschaltet??
Ich schaltete das Handy ein, gab den PIN ein welcher hinten auf dem Handy geschrieben war und sah eine Meldung: 8 Anrufe in Abwesenheit.
Shit, dachte ich mir. Ist wohl echt was passiert. Ich drückte auf wählen, um den Anrufer anzurufen. Als ich mir das Handy ans Ohr hielt ertönte eine negativ klingende Tonfolge und auf dem Display stand kurz „Akku leer“, bevor das Display wieder schwarz war.
Fuck. Akku leer. Kann doch jetzt nicht sein.
Also nochmal. Einschalten, PIN eingeben, Wahlwiedeholung drücken, es erscheinen alle 3 Notfallnummer, noch bevor ich eine auswählen kann kommt die Meldung Akku leer und Display ist wieder aus.
Kacke! Was nun??
Mir fiel ein das ich vor ein paar hundert Meter an ein paar Häusern vorbeigekommen bin. Dort fahr ich jetzt hin und frag ob ich telefonieren kann.
Ich drehte also um und rollte ein paar hundert Meter bis zu einem Haus. Pension Adlerhorst oder so ähnlich.
Ich klingelte und klopfte, aber niemand machte auf. Sah ziemlich verlassen aus.
Im Augenwinkel sah ich eine Person welche seine Scheiben des Autos putzte. Ich fuhr noch ein paar Meter weiter unter und hielt neben ihm an. Ein Holländer wie sich herausstellte, welcher nur Bruchteile deutsch sprach & verstand.
Ich erklärte ihm zügig die Situation und fragte ob ich sein Handy kurz nuten dürfte.
„Klar, kein Problem!“
Ich hielt nun endlich ein Handy in der Hand! Und….Black-out…mir viel keine Nummer ein. Keine Einzige scheiss Nummer!!!! Nix. Pure leere in meinem Kopf….
Was nun?! Dann viel mir wieder das Notfallhandy ein.
Ich sagte dem Holländer wir hätten jetzt wahrscheinlich nur 1 Chance. Ich würde jetzt das Handy einschalten, auf Wahl Wiederholung drücken und wenn ich jetzt sage müsse er bitte das Display mit den 3 Nummer abfotografieren.
Ich erkundigte mich noch zwei mal ob er mich auch wirklich verstanden hätte. Er müsse nix machen, nur fotografieren sobald ich „jetzt!“ rufe.
Ich schaltete das Handy ein, gab den Pin ein, drückte auf Wahl Wiederholung und rief „Jeeeeeeeetzt!“. In diesem Moment wurde auch das Display schon wieder dunkel.
„Hast du das Bild??? Hast du es????!
Er zeigte mir das Bild. Es waren 3 Nummern zu erkenne. 2 waren unscharf und 1 war zu erkennnen!!!
„Geil!!!!! Geil Mann!!! Yesss!!! Bitte ruf die Nummer da an!!!“
Ich war ober Happy und kam mir vor wie MC Gyver.
Freudestrahlend hielt ich mir das Handy ans Ohr und wartete darauf das ein Crew Mitglied abhob.
Aber es passierte nix. Irgendwann kam eine Holländische Stimme.
„Watt will der? Da quatscht einer auf Holländisch. Kannst du mal hören was er sagt“ Ich gab dem Holländer das Telefon.
„Nummer ist nicht vergeben!“
„Hä???!!! Kann doch nicht sein. Lass nochmal Ziffer für Ziffer durchgehen und mit dem Foto vergleichen.“
Die Nummer hat aber gestimmt. Plötzlich viel mir ein das wir ja aus Deutschland kommen! D.h. wir müssen ja noch die Vorwahl 0049 vorwählen!
Gesagt getan, Telefon wählte und plötzlich hatte ich Martin Hitz am Handy.
„Öhhh, Hitz?!“
„Hey Martin, hier ist Torsten, ich hab die Crew seit zigg Stunden nicht gesehen. Weißt du was los ist??“
„Oh Mann, ja die suchen dich. Die sind wieder bis nach Innsbruck da die dachten du hättest dich irgendwo hingelegt. Die sind am Verzweifeln““
„Alles klar, sag denen bescheid ich bin Richtung Kühtai hoch. Gerade an der Pension Adlerhorst.ca. 13km vom Anstieg hab ich schon gefahren. Ich fahre jetzt langsam weiter, sie sollen einfach schnell kommen.“
Ich bedankte mich noch beim Holländer und frage ihn ob er was zu trinken für mich hat.
Er gab mir eine Flasche Wasser, welcher ich umfüllte. Auf die Frage ob er evtl. auch etwas zu essen hätte, sagte er mir er wäre auch Radfahrer. Er hätte genauso wie Peter Sagan immer Gummibärchen mit .
Ich stopfte mir dann die Trikottasche voll mit Gummibärchen, verabschiedete und bedankte mich und fuhr weiter Richtung Kühtai.
Da es doch länger als gedacht dauerte, hielt ich noch an einem Spar Markt an, holte mir 2 Teilchen und 1 Flasche Cola (Es sind 10€ aus der Flasche gefallen als ich das Handy raus holte) und stopfte dies ebenfalls in die Trikottaschen.
Dann kam mir ein Auto entgegen, hielt neben mir an und rief „Ist hier ein Torsten Weber??“
„Jaaa! Das bin ich! Wo bleiben die???“
Ich dachte es wäre jemand von der Rennleitung oder so, da die Crew mich suchte.
Aber der Typ grinste mich nur blöd an und fuhr weiter.
Was sollte das? Was war das für ein Penner?? Warum fährt der einfach weiter??
Kurz danach fuhr das Auto neben mich. Er hatte wohl nur gedreht. Aus dem Fenster raus strahlte mich ein bekanntes Gesicht an. Jetzt erkannte ich ihn erst. Es war Ansgar Giersig von Coffee & Chainrings.
„Hey Torsten! Ich bin hier in Urlaub. Ich fahr jetzt mit dem MTB ein Stück mit dirt zusammen hoch wenn für dich ok?!“
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Ansgar und ich fuhren dann ein paar Minuten zusammen und ich erzählte ihm die ganze Geschichte. Und plötzlich tauchte auch meine Crew wieder hinter mir auf. 17 km hatte ich jetzt gefahren, nur noch 6 km vor uns. Ich war einfach nur mega Happy das keinem was passiert war.
So erreichten wir kurze zeit später den Gipfel und hatten uns viel zu erzählen .
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Und es ging zum nächsten Crewwechsel und langsam Richtung dem schönsten pass, dem Silvretta Pass.
Auch den Silvretta Pass hoch hatte ich mit enormer Müdigkeit zu tun. Ähnlich wie am Grossglockner.
Ich konnte mich selber nicht mehr überwinden weiter zu fahren und so bat ich die crew kurz vor Passhöhe darum mich 20mimn schlafen zu lassen.
Im Gegensatz zu Crew Pierre stimmten sie zu.
Nach 20min wurde ich geweckt, und ich fühlte mich das erste mal nach einem Powernap nicht wohl. Trotzdem stieg ich aufs Rad und fuhr die letzten Kilometer bis zur Passhöhe. Es war allerdings mehr als zäh. Meine Beine schmerzten und brannten und ich hatte keine Kraft mehr in den Armen im Wiegetritt.
Jetzt wusste ich was Pierre meinte als er sagte eine Pause in der Höhe macht alles nur schlimmer und nicht besser. Er hatte recht gehabt. Egal, es muss jetzt weiter gehen. Ging es auch irgendwie.
Der nächste Pass in der Nacht lief dafür umso besser. Im Flow mit der Musik brannte ich regelrecht den Pass hoch. Ein geiles irres Gefühl. 2 Kontrahenten und sogar ein 2er Team überholte ich an dem Pass. Ich konnte es selber nicht fassen.
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Laute Musik, singend und jodelnd fuhren wir den Pass hoch und auch die Abfahrt mehr als zügig runter.
Ab diesem Zeitpunkt fehlen mir überwiegend die Erinnerungen. Ich kann mich einfach nicht mehr erinnern was dann geschah, welche Pässe oder Abfahrten noch gefahren wurden, wann wie oft geschlafen wurde, … ich weiß es leider nicht mehr. Es ist wie eine große Lücke im Gedächtnis.
Auch an den Crewwechsel auf Crew 1 mit Chris, Pierre und Michel kann ich mich nicht mehr erinnern.
Das erste, woran ich mich wieder erinnre ist eine lange Abfahrt. Wo ich Radsportnamen aufzählen musste. (Meine ich zumindest) Am Ende der langen Abfahrt war ein LKW Parkplatz wo ich zum Pinkeln anhielt und für mich plötzlich feststand das ich jetzt hier das Rennen beenden werde. Es waren noch 98km bis ins Ziel.
Aber egal, hier höre ich jetzt auf. Es reicht jetzt. Ich will ins Hotel.
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Wo ist er hin der Torsten? Derjenige welcher eigentlich immer voller Motivation strahlt. Der noch bis vor kurzem ALLES gemacht & ertragen hätte um ins Ziel zu kommen??
Ich weiss es nicht! Und weiss es auch bis jetzt leider nicht! Dies ist einer der vielen Punkte welche nun , besonders für das RAAM, aufzuarbeiten und zu verstehen gilt.
Plötzlich höre ich Michel am Funk. Seine Stimmlage ist irgendetwas zwischen Wut, Verzweiflung und Weinen.
„Du sagtest uns immer das man so ein ultracycling Rennen nicht alleine bestreiten kann. Das jeder einzelne von uns wichtig ist damit wir es zusammen ins Ziel schaffen. Hier hinten sind 7 Leute welche sich seit Tagen den Arsch aufreißen um dem Ziel näher zu kommen, welche sich Urlaub genommen haben und das ganze Jahr auf das Rennen hin gefiebert haben! Und alle diese 7 leute haben noch bock! Alle 7 Leute möchten ins Ziel fahren die Sache hier erfolgreich beenden! Und nur weil Du jetzt „kein bock mehr hast“ bist du dabei jedem von den 7 Personen auf den letzten Metern das Rennen zu versauen. Es geht hier nicht nur um dich! Es geht um uns, das ganze RAA Team! Meinst du nicht das ist ein wenig egoistisch von Dir was du gerade machen möchtest??“
Pierre sagte mir dann sie würden mich jetzt mal alleine lassen und ein stück vorfahren. Ich solle einfach weiterfahren und hinterher kommen.
Dies machte ich dann auch. Ich stieg auf das Rad und fühlte mich als hätte mir jemand mit der Faust in den Magen geschlagen. Ich fing an zu weinen. Ich fühlte mich verdammt schlecht, richtig mies….
Irgendwann hörte ich über Funk das die Crew wieder in Reichweite war, dieses mittlerweile vertraute kurze Krachen während die Verbindung aufgebaut wird.
Ich bat die Crew kurz anzuhalten da ich mit ihnen sprechen müsse.
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Ich schaute allen 3 in die Augen, und unter tränen entschuldigte ich mich für meinen Egoismus. Ich versprach Ihnen das ich das Rennen zu En de fahren werde. Ich werde es für alle 7 Machen! Für alle Personen, welchen ich soviel zu verdanken habe. Und wir werden in Sankt Georgen im Festzelt ein Bier heute Abend zusammen trinken! Versprochen!!! Wir nahmen uns alle 4 in den Arm und standen am Strassenrand. Es war ein tolles Gefühl. Und ich spürte wieder diesen altbekannten Antrieb in mir. Der Antrieb der mich trotz Schmerzen trotzdem immer wieder treten lässt!
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Es ging als nun mit guter Laune Richtung Sankt Georgen.
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Wir führten Stunden lange Gespräche auf dem Weg zum Ziel. Es machte spass! Ich erzählte Pierre u.a. von meiner ganzen Radsportjugend, und er erzählte mir Geschichten von seinen Anfängen und seinem RAAM und Trans Sibirien Extrem.
Kurz vor dem Ziel wurde es dann nochmal richtig zäh. Ich spürte die Müdigkeit und hatte Probleme mich gegen verschiedenste blöde demotivierende Gedanken gegen zu stemmen.
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U.a. hatte ich Angst, und das Gefühl, ich wurde aktuell in einem Powernap Traum hängen. Ich hatte die Befürchtung ich träume nur das in wenigen Kilometer das Ziel ist. Ich glaubte ich werde jetzt jeden Moment aufgeweckt und es heißt „Aufwachen Torsten, es geht weiter! Jetzt folgt das Kühtai!“
Ich weiss es ist schwer sich da reinzuversetzen. Selbst mir, der es vor ein paar Tagen noch selber erlebt hat, fällt es nun schwer zu verstehen was und warum dies in meinem Kopf so abging.
Ich weiss es nicht, ich werde es versuchen rauszufinden um für die zukünftigen Rennen wieder ein Stück mehr gewappnet zu sein. Aber evtl. ist dies auch genau der Reiz von dem Sport den ich so sehr liebe. Das man einfach nicht alles erklären und verstehen kann. Das man nicht einfach alles berechnen und voraussehen kann.
Das es einfach ein brutales, geiles, unvorhersehbares Abenteuer und eine Grenzerfahrung für Sportler & Crew ist.
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Mittlerweile bin ich mehr als nur Stolz auf mich und meine Crew es bis ins Ziel durchgehalten zu haben. Es war eine irre geile Zieleinfahrt und noch ein paar richtig schöne 1-2 Stunden zusammen mit Crew , Freunden und „Kontrahenten“ hinter der Bühne!
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